Oskar Lafontaine: Gedanken über die Große Koalition
Es ist ja nun einmal so: Das, was wir bis jetzt besprochen haben, das zeigt ja, dass die sozialdemokratische Partei in ihren Inhalten sich völlig wegentwickelt hat von ihren Traditionen. Und darüber hinaus gab es einen Konflikt schon zu meiner Zeit als Bundesfinanzminister. Als ich vorgeschlagen habe, die Finanzmärkte zu regulieren, war der damalige Kanzler dagegen und natürlich auch wichtige andere Politiker der deutschen Sozialdemokratie. Und das ist ja ein weiterer Punkt, über den man reden müsste: die, wenn man so will, verheerende Entwicklung im Finanzsektor. Im Bankensektor hat die deutsche Politik und die europäische Politik in den letzten Jahren bestimmt. Darüber hat man offensichtlich bei den Koalitionsverhandlungen so gut wie nicht gesprochen.
Das zeigt ja, dass die wichtigsten Themen verfehlt worden sind: Gerechtes Steuersystem, wenn man so will, deutliche Verbesserungen im Sozialstaat, ebenso, das haben sie auch nicht besprochen, die Außenpolitik. Die Sozialdemokratie, die ich noch mit vertreten habe, die hat gesagt, Krieg ist kein Mittel der Politik. Heute ist es wieder so, dass eben die Sozialdemokratie im Gegensatz zu Brandt, der dafür ja den Friedensnobelpreis erhalten hat, sagt, Krieg muss auch wieder ein Mittel der Politik sein, wenn diplomatische Mittel versagen. Und das ging ja so weit, dass, als Westerwelle und Merkel nicht bereit waren, in Libyen mitzumachen, dass sozialdemokratische Politiker und auch grüne Politiker gefordert haben, wir müssten da auch mit dabei sein, so als könne man aus den verheerenden Wirkungen des Krieges in Afghanistan nicht die geringste Lehre ziehen. Das ist ja die Realität der deutschen Politik.
Das entscheidet sich ja nur über die Inhalte, über die wir gerade jetzt gesprochen haben.
Ich habe ja mit großer Erheiterung gelesen, dass in den deutschen Medien jetzt seit Wochen verbreitet wird, das wäre ein sozialdemokratisches Regierungsprogramm. Da kann ich eben nur sagen, offensichtlich haben diejenigen, die solche Urteile fällen, das Grundsatzprogramm etwa von Godesberg, das ist ein altes sozialdemokratisches Grundsatzprogramm, niemals gelesen. Denn dort stand beispielsweise, Krieg ist kein Mittel der Politik. Und da stand doch, das wichtigste Ziel sei es, die wirtschaftliche Macht zu kontrollieren, damit Demokratie überhaupt möglich sei. Diese Ziele hat man ja völlig aus den Augen verloren. Heute bestimmen ja, wie man weiß, die Banken die Politik, und der Deutsche Bundestag segnet die Pakete nur noch ab. In der Regel haben die Abgeordneten ja gar nicht verstanden, was da in den Paketen steht.