Gedanken von Oskar Lafontaine zum Koalitionsvertrag der Groko 

Er zeigt, daß die Banken und Konzerne weiterhin die Politik bestimmen. Es gehört zum Geschäft, daß sie klagen. Das Steuersystem dient weiterhin der Umverteilung von unten nach oben, Reichensteuern werden nicht erhoben. Kürzlich hat der Kovorsitzende des Vorstands der Deutschen Bank, Jürgen Fitschen, sich in einem Vortrag über die Regulierungsabsichten der Politik lustig gemacht. Er hatte allen Grund zu feixen. Diese kleinmütige große Koalition wird den Banken noch viel Anlaß zu weiterem Spott geben.

Führende Vertreter der Wirtschaft haben immer wieder bekräftigt, daß sich eine ordentliche Reichtumspolitik nur durchsetzen läßt, wenn die SPD in der Regierung vertreten ist. Ein Beweis, daß das stimmt, ist die Rede des SPD-Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, Frank-Walter Steinmeier, auf der Jahrestagung der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA). Die Nachdenkseiten haben sie als Video im Internet veröffentlicht. Steinmeier brüstet sich dort, daß die SPD die Unternehmens- und Reichensteuern stärker gesenkt habe als die CDU und den Sozialabbau besser und verläßlicher vorangetrieben habe. Wäre es nicht offenkundig Steinmeier, der dort spricht, könnte man an eine Fälschung glauben.

 
 
Fairerweise muß man einräumen, daß es leichte Korrekturen gibt. Gabriel ist aber nicht stolz, sondern hat schlicht und einfach Angst. Er hat sein politisches Schicksal mit dieser Koalition verbunden, also muß er den Koalitionsvertrag gegen die »kleinen Leute« schönreden. In Südeuropa hilft die SPD wie schon mit ihrer Zustimmung zum Fiskalpakt 2012 jetzt mit, daß Renten und Löhne gekürzt werden, daß Personal abgebaut wird und sich das soziale Elend weiter ausbreitet. Das Urteil von Papst Franziskus, »diese Wirtschaft tötet«, bestätigt sich nicht nur in Afrika, sondern auch in Südeuropa – ich denke z. B. an die vielen Selbstmorde dort. Die leichten Korrekturen an der Agenda-Politik können nicht darüber hinwegtäuschen, daß die bisherige Rentenformel mit allen Kürzungsfaktoren bleibt und dadurch das Rentenniveau weiter sinken wird. Die betrügerische Riester-Rente erfreut auch zukünftig Banken und Versicherungen und führt mit zu Altersarmut. Die Mindestlohnvereinbarung ist eine Schande, wenn man sieht, welche Mindestlöhne unsere Nachbarn haben. Die vielen Ausnahmeregelungen werden auch nach Inkraftsetzen der Vereinbarung dazu führen, daß zum Beispiel viele Betriebe der Fleischindustrie und der Landwirtschaft in Frankreich oder Belgien nicht mit der deutschen Konkurrenz mithalten können. Bis zum heutigen Tag hat die SPD nicht begriffen, daß Hartz IV und die »Agenda 2010« eine Gesetzgebung war, die die Völker Europas durch Lohndumping spaltet und gegeneinander aufbringt.
 
Merkel und Gabriel scheint das in der Tat egal zu sein. Dieser arrogante Wirtschaftnationalismus führt dazu, daß die große Idee der europäischen Einigung immer mehr unter die Räder kommt. Diejenigen, die sich in Sonntagsreden als große Europäer gerieren, sind in Wirklichkeit die Totengräber der europäischen Einigung. ( Zu Schlachtprotesten in der Bretagne ) 
 
Nein, leider nicht. Insofern war der Vorwurf der Kanzlerin wirklich ungerecht. Willy Brandt wollte, daß die Deutschen ein Volk der guten Nachbarn sind. Über das Lohndumping spielten und spielen die deutschen Regierungen seit Schröder unseren Nachbarn übel mit. ( über angebliche SPD Unzuverlässigkeit in EU Fragen ) 
 
 Wenn man das Leid in Griechenland als Erfolg feiert, spricht das für sich. Von einer Erholung Irlands kann man nur reden, wenn man die wirklichen Zahlen und Zusammenhänge nicht kennt. Die große Koalition wird mit der Fortsetzung der Merkelschen Politik dafür sorgen, daß das Elend in Europa vergrößert wird und rechtsradikale Parteien immer stärker werden.
 
( JW Frage: ) Sie haben im September in einer Rede in München (siehe Dokumentation des Textes in jW vom 28. September) diese Problematik noch weiter gefaßt und formuliert: »Die Verwüstung des Geldwesens zerstört die vorhandene gesellschaftliche Ordnung.« Sie zählten als Konsequenzen auf: Werteverfall, ungerechte Verteilung, Untergrabung der parlamentarischen Demokratie, Raub von Zukunft und Freiheit, Minderung der Produktivität und forderten eine Reregulierung des Bankwesens. Sehen Sie irgendwo eine Kraft, die auch nur einen Ansatz von Veränderung in dieser Richtung bringen könnte?

Die jetzige Entwicklung, das wird Sie vielleicht überraschen, bestätigt die Auffassungen der ordoliberalen Wirtschaftstheoretiker nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie wollten nicht wie die SPD die wirtschaftliche Macht nur kontrollieren, sondern verhindern. Denn sie waren überzeugt: Ist wirtschaftliche Macht erst einmal da, kann sie nicht kontrolliert werden, sie gerät außer Kontrolle. Was wir derzeit erleben, belegt, daß die Ordoliberalen um Walter Eucken das richtig gesehen haben.

 

Hat sich die EU so gewandelt, daß heute gegen Verelendung und für Reregulierung zuerst auf nationalstaatlicher Ebene, nicht auf EU-Ebene gekämpft werden muß?

Es ist offenkundig, daß die ständige Übertragung von Zuständigkeiten an die europäische Gemeinschaft der falsche Weg ist. Wir sehen das im Finanz- und im Energiesektor. Wir brauchen nicht Banken, die europaweit agieren, wir brauchen keine Zockerbuden, die global tätig sind, wir brauchen keine großen Energiekonzerne, die in ganz Europa ihre Geschäfte machen wollen, sondern wir brauchen wieder Sparkassen und Stadtwerke. Dezentralisierung ist die Formel für Demokratie und Umweltschutz.
 
Die Linke hat immer gesagt, wir wollen kein Europa der Banken und Konzerne. Aber genau dieses Europa haben wir, und die neoliberalen Parteien Europas wollen und werden daran nichts ändern.
 

Wenn es so läuft wie bei der »Agenda 2010«, dann werden sie murrend und resignierend diesem Koalitionsvertrag zustimmen und den verhängnisvollen Weg der letzten Jahre weitergehen. Galt einst für die SPD: »Krieg ist kein Mittel der Politik« und »Der Sozialstaat muß ausgebaut werden«, gilt heute: »Krieg ist ein Mittel der Politik« und »Sozialabbau ist die Voraussetzung unseres Wohlstandes«.

http://www.jungewelt.de/2013/11-29/049.php