Große Koalition war und ist Mist 

Jetzt verhandeln CDU, CSU und SPD über eine Neuauflage der großen Koalition. Das Programm der von 2005 von 2009 regierenden: Reichtumsmehrung statt Armutsverringerung. Eine sozialpolitische Bilanz

Von Christoph Butterwegge

Verschärfte Ausgrenzung: Die vorherige »schwarz-rote« Regierung gewährte Eltern für jedes Kind zehn bzw. 16 Euro mehr Kindergeld …

Nach drei Sondierungsgesprächen verhandeln CDU, CSU und SPD über ein Regierungsbündnis, das bei Teilen der Bevölkerung große Erwartungen weckt. Aus diesem Grund ist ein Rückblick auf die letzte große Koalition von 2005 bis 2009 sinnvoll. Deren Neuauflage verheißt für die »kleinen Leute« und den Wohlfahrtsstaat wenig Gutes, läßt man die Bilanz ihrer Sozialpolitik noch einmal Revue passieren, was im folgenden geschehen soll.

Die SPD mußte im September 2009 nach vier Jahren großer Koalition mit 23 Prozent das schlechteste Wahlergebnis ihrer Nachkriegsgeschichte verkraften. Das hatte weniger mit der magischen Anziehungskraft der damaligen CDU/CSU-Kanzlerkandidatin Angela Merkel auf Wähler oder mit ihrer Fähigkeit zu tun, Koalitionspartner wie eine Schwarze Witwe zu vernichten, sondern vielmehr mit einer unsozialen Regierungspraxis, die den sozialdemokratischen Stammwählern materielle Opfer abverlangte. Man denke nur an die Erhöhung der Mehrwert- und Versicherungssteuer von 16 auf 19 Prozent sowie die Anhebung des Renteneintrittsalters von 65 auf 67 Jahre. Die bürgerliche Klientel der Unionsparteien profitierten hingegen von zahlreichen Steuergeschenken und Vergünstigungen.

Die von 2009 bis 2013 amtierende Regierung aus CDU, CSU und FDP hat viele der kritisierten »Kontrollmaßnahmen« gegen Arbeitslose und Bedürftige an sozialer Härte noch überboten und die entsprechenden Gesetze weiter verschärft, was aber kein Argument für eine Neuauflage der großen Koalition ist. Nötig wäre vielmehr eine umfassende Kurskorrektur auf zentralen Politikfeldern, insbesondere bei der Wirtschafts-, Steuer- und Finanzpolitik, der Sozial-, Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik, der Familien-, Bildungs- und Gesundheitspolitik, aber auch der Wohnungsbau- und Stadtentwicklungspolitik.
»Nachbesserungen« von Hartz IV
Die am 18. November 2005 gebildete zweite große Koalition – nach der zwischen 1966 und 1969 von Kurt Georg Kiesinger (CDU) und Willy Brandt (SPD) angeführten – unter Angela Merkel knüpfte fast bruchlos an die »Agenda«-Politik ihrer »rot-grünen« Amtsvorgängerin unter Gerhard Schröder an. Besonders das als »Hartz IV« bekanntgewordene »Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt« ist zum Symbol für einen die Armut fördernden Um- bzw. Abbau des Sozialstaates geworden. Die in zwei Änderungsgesetzen zum Sozialgesetzbuch (SGB II) und im Hartz-IV-Fortentwicklungsgesetz, das zuerst »Optimierungsgesetz« heißen sollte, enthaltenen »Korrekturen« an der »rot-grünen« Arbeitsmarktreform liefen trotz einzelner Verbesserungen für Langzeitarbeitslose (Angleichung der Regelsätze in Ost- und Westdeutschland) größtenteils auf eine Kürzung des Leistungsumfangs sowie eine Verschärfung der Kontrollmaßnahmen hinaus.

Mit dem »Zweiten Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze« wurden Heranwachsende und junge Erwachsene, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, zur Bedarfsgemeinschaft ihrer Eltern gerechnet. Ihr Regelsatzbedarf reduzierte sich vom 1. April 2006 an auf 80 Prozent. Wenn die jungen Menschen einen eigenen Hausstand gründen wollen, müssen sie nunmehr vorher die Zustimmung des kommunalen Leistungsträgers einholen. Ziehen sie ohne dessen Einwilligung bei ihren Eltern aus, erhalten sie bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres gleichfalls nur 80 Prozent der Regelleistung.

Mit dem »Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende« wurde die Beweislast bei eheähnlichen Gemeinschaften umgekehrt: Mußte vorher der Leistungsträger nachweisen, daß eine solche bestand, wenn der Antragsteller und eine weitere Person länger als zwölf Monate in einer Wohnung zusammenlebten, muß dieser seit dem 1. August 2006 im Zweifelsfall den Verdacht widerlegen, daß es sich bei ihm und dem Mitbewohner bzw. der Mitbewohnerin um eine Bedarfsgemeinschaft handelt. Flächendeckend prüft ein Außendienst, ob die Anspruchsvoraussetzungen gegeben sind, um »Mißbrauch« vorzubeugen oder zu begegnen. Zum selben Zweck kann die Agentur für Arbeit nunmehr Daten aus dem Kraftfahrzeugbundesamt, dem Kraftfahrzeugbundesamt, dem Melderegister und dem Ausländerzentralregister abrufen.