Drucken

Armenhaus Europa: 42 Mio Europäer können sich kein Essen leisten . 120 Mio gefährdet   

 

Die Armen werden immer ärmer, große Teile des Mittelstands rutschen in die Armut und die Arbeitslosigkeit bei jung und alt und steigt. Diese drei Aspekte hat die Internationale Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften (IFRC) als Folgen der Finanzkrise festgehalten. Für die Studie wurden 42 Landesorganisationen befragt.

In den vergangenen drei Jahren stieg die Zahl jener, die mit Nahrungsmitteln versorgt werden müssen, in 22 europäischen Ländern um 75 Prozent.

43 Millionen Menschen können sich ihr Essen nicht mehr leisten, 120 Millionen sind armutsgefährdet, so die Studie.

Dazu steigen die Kosten für den Lebensunterhalt schneller als die Löhne, vor allem für Essen und Energie.

In Spanien beispielsweise, dass besonders hart von den Folgen betroffen ist, sind die Strompreise 2012 um unglaubliche 50 Prozent gestiegen.

Die Entwicklung in Griechenland, Portugal, Zypern oder Spanien zeigt deutlich, wie sich die wirtschaftliche Abwärtsspirale beschleunigt und vor allem die Arbeitnehmer trifft. Sie sind über die Höhe von Löhnen und Gehältern die Stellschraube, über die es den Unternehmen in den „Armenhäusern“ irgendwann wieder ermöglicht werden soll, wettbewerbsfähig  zu produzieren. 

Löhne und Gehälter fallen in vielen EU-Staaten  seit Jahren

Und so kommt es, dass trotz einer extrem lockeren Geldpolitik, die ja offiziell zu einer realen Wirtschaftserholung beitragen soll, in der Praxis aber nur der Finanz-Industrie auf die Sprünge hilft. Und das während die konjunkturelle Entwicklung in den meisten europäischen Staaten  desaströs ist und die Einkommen der Bürger fast überall einbrechen. Ganz oben bei den Verlierern seit 2010 stehen Griechen und Portugiesen, die im Durchschnitt auf rund 10 % ihrer Entlohnung verzichten mussten. Es folgen, sicherlich überraschend, die Niederlande mit etwa 6 % Minus im Portemonnaie, gefolgt von Spanien (3,3 %) und Zypern (3,0 %). Im EU-Durchschnitt beträgt der Einkommensverlust der abhängig Beschäftigten für diese drei Jahre 0,7 %, trotz eines deutschen Zuwachses von 2,7 %.

Großbritannien auf dem Weg zum „neuen Armenhaus“

Ein EU-Land habe ich bisher außen vor gelassen, denn immerhin leistet es sich eine eigene Währung samt Zentralbank und sieht sich auch sonst in einer „bevorzugten“ Situation gegenüber den ungeliebten „Kontinentaleuropäern“ mit ihrer Trutzburg Brüssel: die Rede ist von Großbritannien. Die vornehmlich in Sachen Finanzanlagen kreative Insel leidet noch immer an den Folgen der Finanzkrise. Der Bankenapparat hat sich bisher längst nicht so gut erholt wie jener in den USA. Die seit Jahrzehnten voranschreitende De-Industrialisierung des Vereinigten Königreiches wird daher seit Jahren nicht mehr durch die Finanzindustrie in der Londoner City kompensiert. Als Folge muss auch Großbritannien in der Dreijahres-Entwicklung der Löhne und Gehälter ein Minus von beachtlichen 5,5 % hinnehmen, das entspricht „Armenhaus-Niveau“ in der EU. Entsprechend titelte auch die „Welt“ vor einigen Tagen: „Sozialer Abstieg – Großbritannien auf dem Weg zum Armenhaus der EU“. Das Finanzministerium in London räumte in diesen Tagen ein, dass der wirtschaftliche Anstieg noch immer auf sich warten ließe und die Situation gerade für Familien „schwierig“ sei. Eine maßlose Untertreibung, denn nirgendwo in der EU ging die Kaufkraft für abhängig Beschäftigte so deutlich zurück wie auf der Insel. Anders, als für die Euro-Konkurrenten liegt die Inflationsrate (CPI) in Großbritannien nicht bei 0 bis 2 % sondern noch immer bei 2,8 %, zumal diese in den Vorjahren teilweise sogar 5 % betrug.

„Liberaler Arbeitsmarkt“ drückt die Einkommen in den Keller

 

Erschwerend kommt für viele Briten hinzu, dass sie in den Vorjahren immer schlechtere Arbeitsverträge akzeptieren mussten. Teilzeit- bzw. „zero-hours“-Verträge sind bei Neu-Einstellungen an der Tagesordnung bzw. werden auch immer mehr Alt-Beschäftigten aufgedrückt. Bei „zero-hours“-Verträgen wird den Arbeitnehmern nur noch eine Höchstzahl an Stunden pro Woche in Aussicht gestellt, wird weniger gearbeitet, wird auch weniger bezahlt. Wer zur Arbeit erscheint und keine Arbeit vorfindet, wird in vielen Betrieben einfach wieder nach Hause geschickt, ohne einen Penny Verdienst. So eine Entwicklung ist tendenziell überall dort anzutreffen, wo Arbeitsmarktregulierungen dann aufgebrochen  bzw. abgeschafft werden, wenn rezessive Tendenzen vorherrschen oder generell ein Überangebot an Arbeitskräften besteht. Es liegt in der kapitalistischen Natur der Sache, dass Unternehmen nur jene Löhne und Gehälter zahlen, die wirklich notwendig sind – und nicht für volkswirtschaftlich sinnvoll erachtet werden. Auf diese Weise wird die wirtschaftliche Krise oder die volkswirtschaftliche Reorganisation ausschließlich auf den Schultern der arbeitenden Bevölkerung ausgetragen, während die Unternehmen kaum Profitprobleme besitzen (Beispiel Großbritannien) oder aber im allgemeinen deutlich weniger leiden müssen. Der Staat wird hier, aus meiner Sicht, seiner ordnungspolitischen Verantwortung nicht gerecht, denn eine überwiegend verarmende Gesellschaft, die als Gegenstück eine kleine Anzahl an Hochverdienern hervorbringt, wird sich entweder sehr schnell radikalisieren um eine Verbesserung der eigenen Lage zu bewirken, oder aber in die Kriminalität abrutschen.In Deutschland sind ebenfalls die Folgen der Finanzkrise zu spüren. Eine Bertelsmann-Studie vom Dezember 2012 zeigt, dass die Mittelklasse von 65 Prozent im Jahr 1997 auf 58 Prozent im Jahr 2012 geschrumpft ist. 5,5 Millionen Deutsche haben ihren Mittelklasse-Status verloren und zählen jetzt zu den Geringverdienern. In derselben Zeitspanne wurde eine halbe Million Deutscher zu Großverdienern.

 

 

Das deutsche Rote Kreuz hat eine weitere Beobachtung gemacht: 45 Prozent der Arbeitsverträge die in Deutschland seit 2008 abgeschlossen wurden, sind so genannte Mini-Jobs – sehr oft ohne irgendeine sozialen Absicherung. Ein Viertel der arbeitenden Deutschen sind Niedriglohnverdiener und die Zahl jener, die sich mit ihrer Arbeit den Lebensunterhalt nicht mehr verdienen können, steigt kontinuierlich. Im August 2012 mussten fast 600.000 Deutsche trotz Sozialversicherung um zusätzliche Hilfe bitten, und 1,22 Millionen Deutsche können nicht durch ihre Arbeit alleine leben. Das alles in einem Land, dass nicht dafür bekannt ist, besonders hart von der Krise getroffen worden zu sein. Auch, weil es nur eins von fünf Ländern mit einer höheren Erwerbstätigenrate als vor der Krise ist.