Ulla Jelpke (Linke) zum Flüchtlingselend in Lampedusa 

 Wieder einmal hat ein Schiffsunglück vor der Küste Lampedusas hunderten Flüchtlingen das Leben gekostet, und wieder einmal herrschen in der Politik die gleichen Reflexe. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich forderte wie immer bei solchen Gelegenheiten die schärfere Strafverfolgung für „kriminelle Schleuser“. Kritik an der europäischen Grenzschutzagentur FRONTEX wies er zurück. Der Vorwurf, Europa schotte sich ab, sei falsch. Die europäischen Grenzschützer hätten seit Beginn des Jahres 2012 fast 40 000 Menschen aus Seenot gerettet.

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Doch diese Zahl zeigt nicht, wie effektiv FRONTEX in der Seenotrettung ist. Sie ist vielmehr ein Indiz für die verzweifelte Lage der Menschen, die versuchen in die EU zu gelangen. Denn zugleich steigt die Zahl derjenigen, die über den Seeweg in die EU gelangen, seit August vergangenen Jahres wieder deutlich an. Das liegt auch daran, dass die griechische Grenzpolizei die Landgrenze zur Türkei mit meterhohen Stacheldrahtzäunen und zeitweise 3000 Polizeibeamten abschottet. Berichte von Menschenrechtsorganisationen belegen, dass Asylsuchende auch rechtswidrig von Grenzschützern in die Türkei zurückgeschickt werden. Wer es dennoch auf griechischen Boden schafft, auf den warten Haftlager für „illegale“ Migranten, in denen sie bis zu 18 Monate lang festgehalten werden können. Die Zustände in diesen Lagern sind menschenunwürdig.

 

Auch in Italien gibt es eine entsprechende Gesetzgebung, die eine Inhaftierung „Illegaler“ von bis zu 18 Monaten „zum Zweck der Identifizierung“ vorsieht. Nicht nur die illegale Einreise, auch die Beihilfe dazu ist strafbar. Das führt häufig dazu, dass Fischerboote sich weigern, in Seenot geratene Bootsflüchtlinge an Bord zu nehmen. In Italien sind diese Regelungen des nach den beiden rechten Politikern Umberto Bossi (Lega Nord) und Gianfranco Fini (Forza Italia) benannten Gesetzes von 2002 nach der Katastrophe vor Lampedusa in die Kritik geraten. Integrationsministerin Cécile Kyenge (Partito Democratico) forderte, den Straftatbestand der illegalen Einreise wieder abzuschaffen und kündigte die Verdreifachung der Kapazitäten in den Aufnahmezentren für Asylsuchende an.

Einen interessanten Vorschlag machte zugleich der italienische Regierungschef Enrico Letta (Partita Democratico). Er forderte die Einrichtung eines „humanitären Korridors“: Asylsuchende sollten in ihren Herkunftsländern Asyl bei den europäischen Auslandsvertretungen stellen können und nach Festsstellung eines entsprechenden Schutzbedarfs sicher einreisen können. Dieser Vorschlag geht zumindest in die richtige Richtung. Er birgt allerdings die Gefahr, dass die Asylverfahren in die Transitstaaten der Flüchtlinge verlegt werden, und zugleich die Abwehr der illegalisierten Migration noch verstärkt wird. Richtig wäre deshalb, Asylsuchenden ein Visum zur Einreise in die EU zu geben, damit sie hier in Sicherheit ihr Asylverfahren betreiben können. Erst das würde den Schleusern das Handwerk legen und den Tod bei der Überfahrt in die EU verhindern.

Es ist klar, dass Lettas Forderung ohnehin innenpolitisch motiviert ist. Er spielt die europäische Karte, und ändert gleichzeitig nichts an der restriktiven Politik gegenüber den Flüchtlingen. Doch ist der Vorschlag immerhin viel konkreter als alle sehr allgemein gehaltenen Forderungen nach „mehr europäischer Solidarität“, einer „neuen europäischen Flüchtlingspolitik“ oder der Verbesserung der Lebensbedingungen in den Herkunftsländern der Flüchtlinge. Er zeigt die Richtung, wie die Forderung nach offenen Grenzen für Schutzsuchende umgesetzt werden könnte.

Gastkolumne von Ulla Jelpke in der UZ vom 11.10.13